Als Klinische Psychologin habe ich mich seit längerer Zeit auf die Diagnostik von ADHS im Erwachsenenalter spezialisiert. Immer wieder begegne ich in meiner Praxis Vorurteilen und vorgefertigten Meinungen, die diesem Thema entgegengebracht werden.
Viele Menschen nehmen die Betroffenen nicht ernst – sei es im Vorfeld der Diagnostik, während des diagnostischen Prozesses oder sogar nach der Diagnosestellung. ADHS wird oft als „Modediagnose“ abgetan, die gerade durch die mediale Präsenz übertrieben oder unberechtigt erscheint. Doch hinter dieser oberflächlichen Betrachtung stehen Menschen mit echten Herausforderungen und einem enormen Leidensdruck.
Die Unsicherheit, ob die eigenen Symptome wirklich auf ADHS hindeuten, begleitet viele meiner Klientinnen und Klienten. Der Schritt, sich einer klinisch-psychologischen Diagnostik zu unterziehen, ist für die meisten mit erheblichen Ängsten und Ungewissheiten verbunden.
Im Internet gibt es viele Informationen, doch sie vermitteln selten die Gewissheit, ob man tatsächlich ADHS hat.
Auch wenn es heute zahlreiche Informationsquellen gibt, die aufklären, was bei einer Diagnostik passiert, bleibt die Hürde hoch, sich tatsächlich auf diesen Weg zu begeben. Der Mut, sich für eine Diagnostik zu entscheiden, spricht oft für den bereits vorhandenen Leidensdruck. In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, wie groß dieser Druck sein muss, bevor ein Mensch den Entschluss fasst, sich diagnostizieren zu lassen.
Die Diagnosestellung von ADHS bringt für viele Betroffene zunächst Erleichterung. Endlich gibt es eine Erklärung für bestimmte Lebenssituationen, Verhaltensweisen und Erlebnisse, die zuvor unerklärlich schienen.
Psychoedukation ist meist der erste Schritt in der Gesprächstherapie.
Doch damit beginnt auch ein intensiver und oft psychisch belastender Prozess der Auseinandersetzung. Die Diagnose ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer Reise, die tiefgreifende Veränderungen mit sich bringt. Für manche fühlt sich dieser Prozess wie eine Achterbahnfahrt an – anstrengend und mühsam, aber letztendlich auch befreiend.
Viele meiner Klienten stellen sich nach der Diagnosestellung Fragen, die sie vorher vielleicht nicht in Betracht gezogen hätten: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich schon in der Kindheit von meiner ADHS gewusst hätte? Was hätte sich anders entwickelt, wenn die Diagnose früher gestellt worden wäre?
Diese Überlegungen können schmerzhaft sein, aber sie sind auch Teil des Heilungsprozesses und der Selbstakzeptanz.
Die Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter ist ein Wendepunkt im Leben vieler Betroffener. Sie ermöglicht es, das eigene Leben neu zu betrachten, mit mehr Verständnis und Akzeptanz für die eigenen Herausforderungen und Stärken. Dieser Prozess ist nicht einfach, aber er ist notwendig, um zu einem erfüllteren und selbstbestimmteren Leben zu gelangen. In meiner Praxis begleite ich Menschen auf diesem Weg – mit all seinen Höhen und Tiefen – und unterstütze sie dabei, diesen Life Change als Chance für eine positive Lebensveränderung zu nutzen.
Fotos: Wix und Canva
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